0254 Sattlerplatz:
Umnutzung des Hirmer-Parkhauses
Ort
München
Zeitraum
2017 - Studie
Bauherr
--
Größe
--
Architekt
Muck Petzet Architekten und Mathieu Wellner
Team
Muck Petzet
Jakob Eden, Elke Doppelbauer, Simona Luppi
Das Hirmer-Parkhaus in der Münchner Innenstadt soll abgerissen werden, es soll Platz für ein weiteres Stück kommerzialisierter Innenstadt geschaffen werden. Hierfür soll ein zentrales Grundstück der Landeshauptstadt München in private Hände gegeben werden. Welche anderen Chancen würden sich hier - in einem der letzten möglichen Ruhe- und Entwicklungsräume der Innenstadt - auf einem öffentlichen Grundstück - bieten?
Als interessierte Bürger haben wir im August 2017 mit einer Eröffnung den Sattlerplatz auf dem Dach des Parkhauses proklamiert. Diese herausgehobene Fläche, mit einzigartigem Blick über die Innenstadt, ist ein wertvoller, urban bespielbarer Raum.
Das Parkhausgebäude bietet auch in seinem Inneren vielfältige Möglichkeiten der Aneignung und Umnutzung - ohne seinen praktischen Nutzen zu verlieren.
Ja, der Sattlerplatz ist bereits da. Er muss nur noch als solcher öffentlich gewidmet und programmiert werden.
Sattlerplatz n.e.V.
Muck Petzet und Mathieu Wellner, 2017
Petition „Gegen den Abriss des Hirmer-Parkhauses in der Münchner Innenstadt!" unterschreiben
Im Zentrum Münchens – an der Sattlerstraße, steht das sogenannte Hirmerparkhaus, ein Parkhaus aus der Nachkriegszeit, dessen Nutzungsverträge 2016 ausgelaufen sind. Das Grundstück gehört der Stadt München. Gegenüber hat ein privater Investor das ehemalige Postgebäude gekauft und möchte dieses Grundstück kommerziell entwickeln.
Münchner Bürgerinnen und Bürger fragen: Welche Chancen bieten sich hier in einem der letz- ten möglichen Entwicklungsräume der Innenstadt? Welche Ziele, Vorstellungen, Bedürfnisse und Interessen sollen die Planung und Entscheidungen leiten - im Spannungsfeld zwischer öffentlicher Verantwortung und privatem Interesse?
Muck Petzet und Mathieu Wellner schlagen bewusst keinen spektakulären Neubau für das Hirmerparkhaus vor, sondern fordern eine teilweise radikale Umprogrammierung. Anstelle der mittlerweile gewöhnlichen Münchner Praxis von unkritischen Abbruch und Neubau. Sie fordern neue Nutzungen unter Erhalt des Parkhauses.
Sattlerplatz?
Es gibt offiziell bisher nur eine Sattlerstraße, aber der Sattlerplatz ist bereits da. Er muss nur noch als solcher proklamiert und programmiert werden.
Vor allem die großzügige Dachfläche des Parkhauses mit ihren großartigen Panorama-Blicken über die Dächer von München - umgeben von den Wahrzeichen Münchens, den Türmen der Frauenkirche und der Paulskirche. Diese Par- kingdach wird zur Platzfläche, zum Sattlerplatz erklärt. Petzet und Wellner schlagen eine sehr einfache Nutzbarmachung und Möblierung der Fläche vor. In Fortsetzung der Gestaltung der Fußgängerzone von Prof. Winkler (1972), sollen die Leuchten, Pflanztröge und die (ursprüngliche frei verstellbaren) ‚Münchner’-Stühle der Fußgängerzone die Dachfläche als städtischen Raum organisieren.Die Pflanztröge können die gleiche Bepflanzung und Pflege wie in der Fußgängerzone erhalten: der Sattlerplatz ist ja, wie die benachbarte Fußgängerzone, für die Stadtgärtnerei befahrbar.....
Zu einer neuen Nutzung des Hirmer-Parkhauses
Kein entweder/oder, sondern ein sowohl-als-auch: d.h. neue Nutzungen können sich in dem Gebäude anlagern, während das Parken auf vier Etagen funktionsfähig bleibt. Über ein flexibles Raummanagement können sich Parkierung und neue Nutzungen ergänzen oder temporär mischen. Eine Art Foodmark mit Streetfoodständen und/oder Foodtrucks kann für einen Tag in der 5. Etage ‚parken‘ oder ein temporäres Kunstfestival kann sich über mehrere Geschoße für einige Wo- chen einmieten. Es besteht überhaupt kein Zwang und keine Dringlichkeit das ganze Haus abzureißen oder gleich mit Zwischennutzungen zu füllen, denn verschiedene Potentiale und Möglichkeiten können zunächst erprobt werden, andere sich etablieren oder wieder verschwinden.
Mögliche erste Nutzungen
Im Souterrain würde sich eine kleine Markthalle mit lokalen Produkten anbieten: Diese kann zunächst auch nur an einigen Wochentagen ‚stattfinden’. Die Infrastruktur zum ‚andocken‘ besteht und kann ertüchtigt werden. Im Souterrain findet zwischen den Markttagen der gewohnte ‚Parkhaus-betrieb‘ statt. Definitiv umprogrammiert wird die Dachfläche. Auf dem obersten Parkdeck bietet sich, neben einer öffentlichen Platzgestaltung, ein ‚Panorama‘-Biergarten an. Auch diese Nutzungen sind jeweils unabhängig vom restlichen, weiterhin ungestörten Parkhausbetrieb realisierbar.
Zur Erschließung
Die Erschließung durch ein Treppenhaus und einen Aufzug ist bereits vorhanden. Die Architekten Petzet und Wellner schlagen vor, den neuen Sattlerplatz zusätzlich mit einer Außentreppe an die Sattlerstraße anzubinden. Dies könnte eine großzügige Freitreppe sein, wie sie MVRDV für ihr ‚stairs‘ Projekt in Rotterdam realisiert haben.
Zu den Beteiligten / Unterstützern
Die Stadt München könnte für so ein städtisches und bewusst unkommerzielles Projekt sicher auf die Unterstützung Ih- rer Bürger setzen. Der benachbarte Grundstückseigentümer (Inselkammer) könnte sich allerdings an der Logistik und der Einrichtung kultureller Zwischennutzungen beteiligen. Eine know-how-Kooperation mit der Berliner Markthalle 9 würde sich für die Markthalle anbieten. Ein Kunstfestival würde sich als ‚Flächenpionier‘ für Teilumnutzungen und temporäre Bespielungen größerere Flächenpotentiale anbieten. Der bisherige Betreiber und Namensgeber des Parkhauses könnte sich an der räumlichen und architektonischen Aufwertung ‚seines Hauses‘ beteiligen - und im Gegenzug, länger als ge- plant, von dem Parkhaus profitieren.
Zu den Kosten und Nutzenpotentialen
Hier könnte die Stadt München einen weltweit Aufsehen erregenden, neuen (touristischen) Anziehungspunkt schaffen - und gleichzeitig in Mitten der turboliberalen Fußgängerzone einen kulturellen Gegenpol lokaler Wirtschaft und einen Ruheort schaffen. München könnte damit demonstrieren, dass hier nachhaltig und intelligent mit Raum- und Bestands- potentialen umgegangen wird. Die Kosten sind, gegenüber einem Abbruch und Neubau, oder der Schaffung eines Plat- zes an Stelle des Parkhauses, minimal. Der Nutzen ist jedoch viel höher: die Parkierungsnutzung kann vorerst als ‚cash. cow‘ erhalten bleiben - und die öffentlichen, nichtkommerziellen Nutzungen finanziell ermöglichen. Durch den Erhalt der PKW-Erschließung im EG, kann ein ‚gleitender‘ Übergang von Parken zu neuer Nutzung über längere Zeit gesteuert wer- den. Das Projekt könnte über temporäre Nutzungen mit ‚mobilen‘ und vorhandenen Elementen sofort gestartet werden. Das Konzept ist prozessual und minimalinvasiv angelegt und kann mit seinem Erfolg schrumpfen oder wachsen.
00254 Sattlerplatz:
Umnutzung des Hirmer-Parkhauses
Ort
München
Zeitraum
2017 - Studie
Bauherr
--
Größe
--
Architekt
Muck Petzet Architekten und Mathieu Wellner
Team
Muck Petzet
Jakob Eden, Elke Doppelbauer, Simona Luppi
Schaut auf dieses Dorf!
Alle reden über die Stadt, dabei entscheidet sich unsere Zukunft auch auf dem Land: Zum Beispiel in Gundelsheim
Alle schauen auf die Stadt. Es gibt fast mehr Theorien zur Zukunft der großen Städte als nennenswerte neue Bauten dort. Währenddessen versuchen Politiker und Planer, die wahren Probleme der Stadt, die steigenden Mietpreise, die Flüchtlingssituation, an den Rändern der Ballungsräume oder gleich außer Sichtweite auf dem Land zu lösen. Sigmar Gabriel zum Beispiel trat schon früh dafür ein, die Flüchtlinge zwangsweise auf dem Land, in den Dörfern unterzubringen, damit in den Großstädten keine Gettos entstünden. Aber was passiert eigentlich auf dem Land? Wer bestimmt dort, was gebaut wird, wer dort wo wohnt?
Wenn man vom Land überhaupt etwas hört, sind es Schreckensgeschichten von Zersiedlung und überschuldeten Einfamilienhausbesitzern, Pendlerstaus und Leerstand, von angezündeten Flüchtlingsheimen, Arbeitslosigkeit und der AfD. Dabei sind diese Geschichten nicht einmal die halbe Wahrheit. Aber man muss schon ein wenig genauer hinschauen, um zu sehen, dass in Wirklichkeit auf dem Land sehr viel passiert - vielleicht sogar Interessanteres und Grundlegenderes als in den Städten. Fahren wir also einmal raus aus der Stadt, tief ins Land, ins bayerische Gundelsheim.
Dort steht der Architekt Muck Petzet auf der Straße, vor einem leeren Haus, in dem einmal ein kleiner Supermarkt war. Den gibt es jetzt nicht mehr. „So ein leeres Geschäft mitten im Zentrum tut der Seele weh", sagt Petzet. Rund um einen großen Tisch sitzen mehr Männer als Frauen. Sie haben sich in der ehemaligen Schleckerfiliale versammelt, weil der dynamische junge Bürgermeister von Gundelsheim, Jonas Merzbacher, sie - Handwerker, Bäcker, Ingenieure aus der Region Oberfranken - darum gebeten hat.
Viele haben die Arme vor der Brust verschränkt und schauen etwas bedrückt auf die Pläne, die der Architekt aus München mitgebracht hat. Seine Powerpoint-Präsentation wird auf eine mobile, ausrollbare Leinwand gebeamt. Bis Mitte 2012 wurden hier, in der Hauptstraße 7, noch Shampoos und Waschmittel verkauft. Im Anschluss täuschte in Mittwochs-Café über das Ende des Drogeriekonzerns Schlecker hinweg. Aber der improvisierte Kaffee-und-Kuchen-Verkauf überstand das überteuerte Mietverhältnis mit dem Eigentümer nicht. Deshalb muss jetzt die wichtige Frage diskutiert werden, was mit dem Leerstand in Gundelsheim geschehen soll.
Knapp dreitausend Menschen leben rund um den Leitenbach, einem Nebenfluss des Mains, überwiegend in bunt gestrichenen Einfamilienhäusern mit hübsch und ordentlich angelegten Gärten. An einer der Zufahrtsstraßen aus Bamberg wehen Deutschlandflaggen im Wind, Jesus Christus ruht auf einer Verkehrsinsel an einem Kreuz. Auf der Hauptstraße gibt es: Metzgerei, Apotheke, Friseursalon Manuela Zeis, Sparkasse, Blumenladen, Supermarkt und die leere Schleckerfiliale. Auch die oberen Stockwerke des großen Gebäudes sin unbewohnt, der Schuppen und die Garage im Garten drohen zu verfallen. Eine Studie, die der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen WBGU gerade herausgegeben hat, beschreibt in dramatischen Worten die Folgen der Landflucht, die in den kommenden Jahren zwei bis drei Milliarden Menschen weltweit in die Städte treiben und sehr viel mehr verlassene Häuser zurücklassen wird. Die Gemeinde Gundelsheim aber befürchtet nicht, dass mit der Pleite von Bauernhöfen und Industrieunternehmen der Einwohnernachwuchs schwindet. Das Dorf hat andere Sorgen.
Seit ein paar Monaten gehören zu der Gemeinde Familien und Jungs ohne Familien aus Syrien. Die sogenannten „unbegleiteten Jugendlichen" schlafen in der Bibliothek auf der anderen Seite des Leitenbachs. Im Herbst vergangenen Jahres wurde sie ausgeräumt und in das Rathaus verlegt. „Wohnraum und Arbeitsplätze für anerkannte Flüchtlinge müssen auf Dauer geschaffen werden", weiß der Bürgermeister Jonas Merzbacher. Deshalb hat die Gemeinde das Haus in der Hauptstraße gekauft. Den berühmten Architekten aus München, der vor vier Jahren den Deutschen Pavillon für die Architektur-Biennale in Venedig kuratierte, ein zweites Büro in Berlin hat und nun im dunklem Architektenanzug geduldig mit am Tisch sitzt, hat die Oberste Baubehörde im Bayrischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr empfohlen. Sie waltet über ein „Sonderprogramm im Rahmen des Wohnungspakt Bayerns“ mit dem Titel „Leerstand nutzen - Lebensraum schaffen“ und subventioniert „im ländlichen Raum positive Beispiel für das Gesamtkonzept mit Schwerpunkt Einbindung anerkannter Flüchtlinge“.
Es ist vielleicht eines der wichtigsten und zukunftsträchtigsten Programme, die es zurzeit in diesem Feld gibt, wie überhaupt diese Behörde sich von den vielen überforderten Bürokraten des Bauens wohltuend unterscheidet: Was da in München versucht wird, ist wirklich Politik im emphatischen Sinn des Wortes, es ist optimistische Zukunftsgestaltung statt depressiver Mängelverwaltung.
Die Sanierung der Wohnungen in dem leeren Gundelsheimer Haus basiert auf „sparsamen Maßnahmen“: Der Schleckermarkt soll aufgestockt werden, der zukünftige Betrieb über eine überdachte Terrasse, eine Art kollektive Loggia mit Ausblick auf den Fluss verfügen. Einziehen soll ein Koch, 28 Jahre alt, aus Syrien, dessen Familie in Jordanien aufgehalten wurde, und den in Gundelsheim alle Kamal nennen, ohne genau zu wissen, wie sich das schreibt. Er bereitet schon jetzt regelmäßig Humus, gefüllte Weinblätter, frittiertes Gemüse, Fleisch und Fladenbrot für Feste vor. Es soll ein Restaurant und ein Café geben, einen Lieferservice, der die umliegenden Kindergärten und Schulen versorgt und sogar Senioren aus dem Altersheim abholt, damit sie in der Hauptstraße gemeinsam mit den anderen Bewohnern und ihren Kindern zu Mittag essen können.
Ist das Sozialromantik - oder eine echte Chance? Es gibt ein altes Buch, das heißt „Grazie mille. Wie die Italiener unser Leben verschönert haben“. Es feiert die italienischen Gastarbeiter, die in den fünfziger Jahren das graue, depressive Nachkriegsdeutschland zum Leuchten brachten. Kann sich so etwas wiederholen - die Reaktivierung, Belebung aussterbender Landstriche durch Neuankommende? Deutsch-arabische Feste statt Leerstand und Stille? Die Voraussetzungen will die Oberste Baubehörde und das Sonderprogramm „Leerstand nutzen – Lebensraum schaffen“ unbedingt schaffen. Auf dem Papier wirkt das etwas ausgedacht. Man nehme Leerstand auf dem Land plus anerkannte Flüchtlinge plus Ausbildungs- oder Arbeitsplatz und heraus kommt eine fröhliche multikulturelle Gemeinschaft, die auch noch der anderen Landflucht entgegenwirkt? Geht das wirklich so? Andererseits: Warum nicht?
Vor der Bibliothek stehen drei Jungs. Zwei kommen aus Syrien, der dritte aus Afghanistan. Sie heißen alle Mohammed und finden das auch witzig. Sie hängen mit ihren Freundinnen herum, die sie hier kennengelernt haben und meistens draußen am Bach oder bei der Schule sehen. Sie nehmen Sprachunterricht und besuchen die Berufsschule. Sie sprechen ziemlich gut Deutsch und verstehen sogar den irrwitzigen fränkischen Dialekt.
Der dynamische junge Bürgermeister, den alle duzen, weil er schon mit Mitte zwanzig ins Amt gewählt wurde, schlägt Hip-Hop-mäßig mit ihnen auf der Straße ein. „Sie spielen im Fußballverein“, erzählt er und witzelt, „jetzt ist der sogar erfolgreich“. Auf Gundelsheim haben Mohammed, Mohammed und Mohammed trotzdem keine Lust. Sie sind 17 Jahre alt und warten auf den nächsten Geburtstag, damit sie endlich von Erziehern wegkönnen, die ihnen das Rauchen verbieten. Doch das neue Integrationsgesetz spricht auch anerkannten Flüchtlingen das Grundrecht auf Freizügigkeit ab. Im Rahmen der Wohnungsauflage entscheidet das Land über den Wohnsitz. Die drei Jungs wissen noch nichts darüber.
Der Koch dagegen kann es kaum erwarten einzuziehen. Er wird zwar die Küche Bayerns studieren müssen – „Nur so fremde Speisen gehen ja auch nicht.“ –, aber für die Themenwoche „Syrien“ bleibt er Experte. Mal sehen, ob, wenn das Haus erst renoviert ist und hinten auch die Werkstätten aufmachen, die drei Mohammeds nicht doch anfangen, hier sesshaft werden zu wollen.
Antie Stahl
Feuilleton FAZ
11.02.2016